Die iranische Sittenpolizei kontrolliert auf den Straßen neuerdings wieder das Gebot für Frauen, ein Kopftuch zu tragen.
Ein Jahr, nachdem Präsident Ebrahim Raisi im Iran die verschärfte Durchsetzung der Hijab-Zwangsvorschriften angeordnet hat, und fast ein Jahr nach der Misshandlung und Ermordung der jungen Iranerin Mahsa Amini im Rahmen ihrer Verhaftung wegen „mangelhafter Verschleierung“ kehrt die Sittenpolizei wieder verstärkt auf die Straßen zurück. Zusätzlich werden nun Urteile gegen Frauen, die sich dem Hijab-Zwang widersetzen, verhängt. Ihnen wird eine „antisoziale Persönlichkeitsstörung“ attestiert, die mit Zwangspsychiatrie geheilt werden müsse.
Nach massiven Protesten breiter Bevölkerungskreise gegen die Einschränkung der Frauen- und Menschenrechte (bekannt als „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung) war die gefürchtete Sittenpolizei weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Trotz der gewaltsamen Unterdrückung der Straßenproteste, bei denen Hunderte Demonstrantinnen und Demonstranten getötet und mehr als 20.000 verhaftet wurden, haben zuletzt viele Frauen und Mädchen im ganzen Land in der Öffentlichkeit aus Protest gegen die Repressionen ihre Kopftücher abgelegt.
Nun aber schlägt das Regime zurück. Mitte Juli 2023 kündigte der stellvertretende Polizeichef für kulturelle und soziale Angelegenheiten an, landesweit wieder Fahrzeug- und Fußpatrouillen einzusetzen, um die Einhaltung des Hijab-Gebots durchzusetzen. Es gibt bereits wieder Übergriffe gegen Frauen ohne Hijab, die von Patrouillen in Lieferwagen gezerrt und zum Verhör gebracht werden.
Abnormales Verhalten
Am 18. Juli wurde die Schauspielerin Leila Borukat verurteilt, weil sie keinen ordentlichen Hijab trug. Sie erhielt eine Gefängnisstrafe von vier Monaten und ein zweijähriges Berufsverbot. Von Regierungskreisen wurde zudem eine Reihe weiterer Sanktionen, wie etwa Einschränkungen beim Zugriff auf Bankkonten, Verweigerung wichtiger Dienstleistungen oder Beschlagnahmung von Fahrzeugen, im Zusammenhang mit dem Zwangs-Hijab angekündigt.
Das scheint den Hardlinern aber noch immer nicht zu genügen. Jüngst attestierte ein Gericht einer Künstlerin, die das Kopftuch verweigert hatte, eine „antisoziale und familienfeindliche Persönlichkeitsstörung“. Sie muss zur Behandlung ihrer „psychischen Erkrankung“ alle zwei Wochen ein psychologisches oder psychiatrisches Beratungszentrum aufsuchen. Die Nichteinhaltung des Hijab-Gebots wird als abnormales und asoziales Verhalten gesehen, das „geheilt“ werden müsse.
Ein solches Vorgehen erinnert an den Missbrauch der Medizin und Psychiatrie in anderen Diktaturen. Die Vereinigungen der iranischen Psychologen und Fachärzte warnen mit Nachdruck vor einem Missbrauch der Psychiatrie und Psychologie. Denn die Verwendung psychiatrischer Diagnosen zur Bestrafung von Menschen führe zu irreparablen Konsequenzen – für die betroffenen Frauen, für die Gesellschaft und für das Ansehen der Psychiatrie und Psychologie des Landes. Die Diagnose psychischer Störungen gehöre eindeutig in die Zuständigkeit von ausgebildeten Ärzten und nicht in jene von Richtern, genauso wie die Überweisung in psychiatrische und psychologische Behandlung.
Die iranische Massenbewegung „Frau, Leben, Freiheit“ hat das Terrorregime der islamischen Republik offenbar stärker an seine Grenzen gebracht als vermutet, sonst würde die Regierung nicht derart schwere Geschütze auffahren: Gegen Frauen, die einfach nur selbst entscheiden wollen, wie sie sich kleiden, gegen Künstlerinnen und Journalistinnen, die von Meinungs- und Pressefreiheit träumen, und gegen Menschen, die ihre Menschenwürde gewahrt sehen wollen.